Ländliche Regionen bald ohne Kirche?

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    28. Dezember 2023
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    NAHVERSORGT

Gut besuchte Gottesdienste zu Weihnachten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beiden großen Kirchen hierzulande Mitglieder verlieren. Die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer in Deutschland werden deshalb mittelfristig wohl Leistungen einschränken und Liegenschaften veräußern müssen. Sozial-karitative Einrichtungen könnten schließen. Die Kommunen in den ländlichen Räumen würde dies vor große Herausforderungen stellen.

Seit dem Mittelalter prägen die meist kolossalen Gotteshäuser der christlichen Konfessionen das Bild unserer Städte und Dörfer. Doch immer mehr Kirchengebäude stehen leer, denn die Zahl der Gläubigen sinkt kontinuierlich - und mit wachsender Geschwindigkeit. Der Unterhalt und die Instandhaltung der Immobilien verursacht jedoch weiterhin hohe Kosten. Ein gemeinsames Positionspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des katholischen Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD), das in diesem Jahr in der Zeitschrift "Kirche & Recht" erschien und aus dem die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" im April zuerst zitierte, geht deshalb davon aus, dass die Kirchen bis zum Jahr 2060 etwa 40.000 ihrer Liegenschaften abgeben müssten. 

Auf den ersten Blick verwundert dies, nehmen die Kirchen doch jährlich Milliardenbeträge aus der Kirchensteuer ein. Inflation und Steuerprogression lassen die nominellen Einnahmen aus der Steuer seit Jahren trotz Rückgang der Mitgliederzahlen stegen. Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge betrug das Kirchensteueraufkommen im Jahr 2022 schätzungsweise 12,9 Milliarden Euro. Die katholische Kirche erhielt demnach knapp 6,8 Milliarden Euro, die evangelischen Gliedkirchen rund 6,1 Milliarden Euro. Bis 2027 könnten die Einnahmen nach den Berechnungen des IW auf insgesamt bis zu 14,4 Milliarden Euro ansteigen.

Dieser Trend werde sich jedoch schlagartig umkehren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in Rente gingen und dann weniger Kirchensteuer zahlen. Verstärkend komme hinzu, dass unter den jüngeren Erwerbstätigen der Anteil der Konfssionslosen deutlich ausgeprägter sei. Die Kirchen selbst sehen daher einen großen Zwang zum Sparen auf sich zukommen. 

Für die Infrastrukturausstattung der Kommunen vor allem in den ländlichen Räumen bedeutet dies nichts Gutes. Denn beide Kirchen nehmen über den Pfarrdienst und die Seelsorge hinaus zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben wahr. So betreiben sie Kindertagesstätten, Schulen oder Rettungsdienste, sind Träger von Alten- und Pflegeeinrichtungen oder Jugendheimen. Etwa 1,8 Millionen Menschen beschäftigen evangelische und katholische Kirche in Deutschland. Allein 1,3 Millionen von ihnen arbeiten für Diakonie und Caritas, den beiden Wohlfahrtsverbänden der Kirchen. Hinzu kommen etwa genauso viele Ehrenamtliche. 

Zwar ist die Arbeit der kirchlichen Wohlfahrtspflege hochgradig staatlich alimentiert. Rund 90 Prozent der laufenden Aufwendungen werden aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuermitteln finanziert. Mehr als 500 Millionen Euro waren es im vergangenen Jahr. Doch bereits wenn der Eigenanteil der Kirchen wegfiele, kämen auf die öffentlichen Haushalte Belastungen zu, die viele Gemeinden finanziell überfordern dürften. Zögen sich die Kirchen mit ihren Einrichtungen aus der Fläche mehr und mehr zurück, könnte wohl eine Daseinsvorsorge für die Bevölkerung vielerorts nicht mehr im bisherigen Umfang gewährleistet werden. Denn die Übernahme eines erheblichen Teils der Dienstleistungen im sozialen Bereich durch die öffentliche Hand würde den Betrieb der Einrichtungen massiv verteuern. 

Für Beschäftigte konfessioneller Träger gilt nämlich das kirchliche Arbeitsrecht, dessen eigenständiges Tarifsystem vom allgemeinen Tarifvertragsrecht abweicht. Soziale Dienste der Kirchen werden daher meist zu günstigeren Konditionen erbracht. Die Sonderstellung der Kirchen auch bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen ermöglicht es somit nicht zuletzt der Kommunalpolitik, sich mit einem vielfältigen Angebot an Einrichtungen zur Daseinsvorsorge zu brüsten. Bei einer rein öffentlichen Finanzierung müssten die Räte der Gemeinden wohl Prioritäten setzen und die Vielfalt einschränken. Von der schwierigen Frage, die zu diskutieren sein wird, was mit den abgestoßenen, leerstehenden Kirchgebäuden in den Ortszentren geschehen solle, mal ganz abgesehen. Viele der Gotteshäuser stehen unter Denkmalschutz, und die allermeisten Projektentwicklungsbüros äußern kein Interesse an Immobilien außerhalb der wachsenden Großstädte. 

Konzepte der Initiative NAHVERSORGT setzen seit jeher auf einen vielfältigen Mix aus unterschiedlichen Nutzungen und Trägern. Die Aussicht auf einen wirtschaftlich tragfähigen Betrieb der Daseinsvorsorge-Einrichtungen ist allen NAHVERSORGT-Projekten gemein. So bleiben auch kleinere ländliche Orte vital und werden vor einem Verfall bewahrt.

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